Psychologische Erklärung:
Darum lieben wir es so sehr, aufs Meer zu schauen
VON Sarah Peters - KSTANZ
„Life is better at the beach.“
Mehr noch als alle anderen Naturlandschaften fasziniert uns
das Meer.
Das Leben ist besser, wenn man am Strand ist. So lautet ein
vielzitierter Spruch, mit dem unzählige Nutzer in den sozialen Netzwerken ihre
Urlaubsfotos anpreisen. Darauf zu sehen: Das Meer, Sandstrand, eine
untergehende oder aufsteigende Sonne. Für viele Menschen ist das Sehnsuchtsort
überhaupt. Doch warum eigentlich sind wir so fasziniert vom Meer?
„Das Meer spricht uns
alle an“
Psychologin Julia Scharnhorst hat sich mit dieser Frage
beschäftigt: „Dass das Meer alle Menschen anspricht, ist schon etwas Besonderes.“
Andere Naturlandschaften wie etwa Berge oder die Wüste würden die Menschen zwar
auch begeistern, aber bei weitem nicht so viele. Interessant ist, dass wir eine
Landschaft – egal ob Land oder Stadt – grundsätzlich mögen, wenn Wasser darin
ist. „Dazu gibt es Studien“, so Scharnhorst. „Naturerlebnisse beruhigen uns. Es
muss nicht immer das Meer sein, schon ein Teich im Park oder ein See kann
diesen Effekt auf uns haben.“ Für die meisten Menschen ist das Meer jedoch der
absolute Kontrast zum Alltag.
Wir können das Meer
mit allen fünf Sinnen erleben
Das Besondere am Meer ist, dass wir es mit allen Sinnen
genießen können, so die Psychologin. Wir können es riechen und genießen den
starken salzigen Geruch.
Wer schon einmal beim Schwimmen etwas Salzwasser in den Mund
bekommen hat, konnte das Meer auch schon schmecken. Das Meer beschert uns
Menschen dazu auch so manchen Gaumenschmaus: Wer an der Küste urlaubt, kann
dort besonders gut frischen Fisch und Meeresfrüchte verköstigen. Hier geht die
Liebe sehr wirklich direkt durch den Magen.
Ein weiterer Sinn, der am Meer stimuliert wird, ist das
Sehen. Stehen wir am Strand oder auf einer Klippe und schauen auf das Meer, so
können wir bis zum Horizont sehen. „Unser Blick über das Meer wird nicht
zugebaut und gibt uns das Gefühl von Unendlichkeit“, erklärt Scharnhorst. Das
blau-grün-türkisfarbene Lichtwellenspektrum des Meeres wirkt beruhigend,
entkrampfend und stressmindernd.
Barfuß am Strand
fühlen wir uns besonders geerdet
Aber nicht nur die Wassermassen machen etwas mit unseren
Emotionen und unserer Gesundheit. Sand zwischen den Zehen, eine erfrischende
ausrollende Welle, die die Füße umspült und sich dann wieder ins Meer
zurückzieht: wir fühlen das Meer und den Strand. Diese Sinneseindrücke erleben
wir im Alltag selten.
Dabei spielen die Füße eine ganz besondere Rolle: „Mit den
Füßen spüren wir den Grund und Boden eher selten, denn meist hüllen wir unsere
Füße in Socken und Schuhwerk. Dieses Gefühl bringt uns wieder ein Stück in
Verbindung mit unserem eigenen Körper – und der Natur.“ Außerdem ist man bei
schönem Wetter im Sommer am Strand oft weniger bekleidet. Sonne, Salzwasser auf
der Haut oder den Wind nehmen wir dann ganz anders und mit dem ganzen Körper
wahr.
Auch wenn das Meer
laut wie ein Lkw ist, beruhigt es uns
Wir entspannen am Strand und hören das Meeresrauschen,
dessen Geräuschpegel sich manchmal mit einem vorbeifahrenden Lkw vergleichen
lässt. „Auch wenn das Wellenrauschen ein Geräusch ist, empfinden wir es nicht
als Lärm, der uns stresst.“ Im Gegenteil: Wellenrauschen wirkt wie
Meditationsmusik auf uns und ist der absolute Kontrast zu den Geräuschen in
einer Großstadt. „Es ist nicht der Geräuschpegel, sondern die Art der
Geräusche. Naturgeräusche kann unser Gehirn viel besser verarbeiten als
künstlichen oder technisch verursachten Lärm“, erklärt Scharnhorst.
Außerdem wirkt der Rhythmus der Wellen beruhigend auf uns.
„Die Frequenz entspricht einem ruhigen Atem-Rhythmus der Menschen, ist also
eine Art Natur-Rhythmus.“ So haben Mediziner festgestellt, dass Menschen, die
sich in der Nähe von, am oder unter Wasser befinden, weniger Stress oder Ängste
verspüren und einen ruhigeren Puls und Herzschlag haben. Meeresrauschen wirkt
sogar schmerzlindernd und wird heute erfolgreich in der Reha oder in der
Schmerztherapie, sogar in Zahnarztpraxen, eingesetzt.
Sorgen werden am Meer
plötzlich ganz klein
Trotz aller Romantisierung ist das Meer eine Naturgewalt und
wird niemals vom Menschen beherrscht werden. Das raue und gefährliche Treiben
können wir aus sicherer Distanz betrachten – ohne uns in Gefahr bringen zu
müssen. „Wer schon mal bei Sturm an der Atlantikküste oder an der Nordsee
spazieren gegangen ist, weiß, dass das ganz schön wild werden kann.“
Gleichzeitig kann man dieses Abenteuer aber in relativer Sicherheit erleben.
Scharnhorst dazu: „Auch dann sammeln wir Sinneseindrücke, die wir beruhigend
oder als anregend empfinden, die uns aber nicht überfordern.“
Sorgen, die wir mit uns herumtragen, werden am Meer
plötzlich ganz klein. „Man erlebt sich plötzlich als winziges Wesen im
Angesicht der Naturgewalten. Alleine an einem Strand spazieren zu gehen, da
kommt man sich schon sehr, sehr klein vor.“ Diese Erfahrung helfe persönliche
Ängste zu relativieren und sich selbst nicht so wichtig zu nehmen. „Es hilft
beim Abschalten und Loslassen und sich nicht so in Sorgen hineinzusteigern.“
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