Drei Monate bevor das Schiff in Hafen von Wilhelmshaven
sank, hatte ich es am 7. Juni 2008 in Augenschein genommen, erstellte für das Schiff ein Kurzgutachten, in
dem ich vor dem Schiffsuntergang gewarnt habe und unterbreitete brieflich der
Stadtverwaltung mein Vorhaben, das Schiff zu retten und mit Beteiligung von
Jugendlichen instand zu setzen. Die Stadt rührte sich leider nicht.
Jerzy Chojnowski
(Skipper/Eigner-HELENA)
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18. Juni 2008
Herrn
Bert
Bolte
CRAMER-BOOTE
GmbH
Sehr geehrter Herr Bolte,
vielen Dank für Ihre Nachricht vom 14. 06.2008.
Anbei ein Kurzgutachten, das ich über das Schiff
verfasste
und meine Wertvorstellung. Bitte leiten Sie diese Zeilen an den Eigner weiter.
Über eine Rückmeldung würde ich mich freuen.
Mit freundlichen Grüßen,
Jerzy Chojnowski
PS. Noch zwei Fragen:
Ist das Schiff im Schiffsregister
eingetragen?
Welche Schiffspapiere sind vorhanden?
Kurzgutachten für Kutter „Helena“
Lage
Am 7. Juni
2008 erfolgte die Besichtigung des o.g. Schiffes; Liegeplatz Wilhelmshaven,
Marina Cramer. Das Schiff ist schwimmfähig und liegt am Steg festgemacht
längsseits.
Rumpf
Der
Holzrumpf (Eiche auf Eiche, Baujahr 1943) macht einen soliden ersten Eindruck,
der bei Inspektion bestätigt wird: Spanten 17X10 cm im Heckbereich und
Plankenstärke 5.0 cm bürgen für eine stabile Konstruktion. Einige sichtbare Planken
scheinen äußerlich teils verfault zu sein. Sollte das Unterwasserschiff
unbeschädigt sein (was nicht festgestellt werden konnte) haben wir mit einem
robusten Schiff zu tun. Ein Spant auf der Steuerbordseite am Heck
ist durch Abspaltung ausgehöhlt, dadurch geschwächt und muss repariert werden.
Der Zugang zu anderen tragenden Konstruktionsteilen: Kiel, Kielschwein,
Längsstringer, Bodenwrangen, Spanten, Vorder- und Hintersteven, Decksbalken ist
nur bedingt oder gar nicht möglich, da sie verbaut sind mit Verschalung oder
mit Zubehörteilen, weshalb ihr Zustand nicht inspiziert werden konnte. Einige
Decksbalken sind morsch. Der Rumpf außen muss nach dem Aufslipen des Schiffes
vom starken Bewuchs und Farbe befreit, gesäubert und geglättet werden.
Anschließend muss er innen wie außen mit Teer- und Bitumenprodukten imprägniert
und neu kalfatert werden.
Der starke
Modergeruch im Rumpf beweist, dass das Holz innen zu faulen begann. Sämtliche
Verschalungen müssen daher entfernt werden, damit der Rumpf innen mit Teer- und
Bitumenprodukten konserviert werden kann. Nach der Konservierung und dem
Austausch schadhafter Planken soll der Spantenzwischenraum mit Hartschaum unter
Anbringung einer dauerhaft konservierenden Schicht (Bitumenkleben) verkleidet
und thermisch isoliert werden. Im gesamten Schiff fehlen Lüfter.
Die Korrosionsspuren ausgehend von Vernagelung
und Verbolzung der Rumpfteile miteinander ist durch Korrosion der Nägel und
Bolzen außen und innen deutlich sichtbar und schwächt die Gesamtkonstruktion.
Neue verzinkte Nägel und Bolzen müssen die korrodierten ergänzen oder ersetzen.
Der Rumpf leckt unter Wasserlinie, was die Ansammlung des Bilgewassers zeigt.
Der Rumpf ist aber auch über Wasser an einigen Stellen der Bordwände undicht,
muss daher aufgeslipt, untersucht, evtl. repariert und kalfatert werden.
Deck
Das
Teakdeck fehlt und muss neu verlegt werden. Das Schanzkleid ist größtenteils
verfault und muss komplett ausgetauscht werden. Der unterdimensionierte
Schanzdeckel muss ausgetauscht werden.
Beschläge
Sämtliche
Eisenbeschläge, insbesondere Wantenbeschläge, sind korrodiert, müssen ausgebaut
und ersetzt oder durch galvanische Verzinkung erneuert werden. Die bestehenden
Beschläge aus Nirostahl sind unpassend und können nicht übernommen werden.
Bugbeschlag, Heckbeschlag und Kielbeschlag müssen neu angefertigt und
angebracht werden. Die alte Reling muss entfernt, eine neue feste Reling muss
aus Nirostahl angefertigt werden und die gesamte Länge des Schiffes auf beiden
Seiten umfassen. Geeignete Klampen fehlen überall.
Ruder
Die
Ruderanlage reagierte ausgesprochen träge auf Steuerradausschläge, was nicht
akzeptabel ist. Schubstange und Hydraulikzylinder scheinen nicht unterdimensioniert
zu sein. Ruderblatt und Ruderschaft sind verrostet, eigenen sich nicht mehr zum
Betrieb und müssen samt Hinterstevenbeschlag erneuert werden. Der Ruderschaft,
seine Aufhängung und seine Lager müssen verändert werden, damit das Schiff
seetüchtig wird. Ein zweiter Steuerstand am Heck muss eingerichtet werden. Eine
Notpinne mit entsprechender Vorrichtung am Ruderschaft fehlt, ist aber Pflicht.
Rigg
Das
aufgesetzte Rigg ist zur Rumpfform und zur Rumpfgröße völlig unpassend und kann
so weder akzeptiert noch übernommen werden. Der Großmast muss verlängert und
durch das Deck gehen. Dafür müssen neue Deck- und Mastbeschläge (Mastkragen,
Mastfuss etc.) angefertigt werden. Sämtliches stehendes und laufendes Gut muss
neu angepasst werden. Segel müssen passend zum Rigg umgeneht werden. Der Bugsprit ist durch fehlende Holzpflege mit Rissen
versetzt und muss ausgetauscht werden. Der Besanmast ist stark angegriffen und
auf diesem Schiff überflüssig. Die Positionierung des Großmastes ist
fehlerhaft. Der Großbaum kann vielleicht übernommen werden. Geeignete Schotwinschen
fehlen, auch die Nagelbänke und Umlenkblöcke. Schienen und Travellers für Schot-Holepunkte
fehlen. Vorhandene Spannschrauben (Wantenspanner) sind ungeeignet und
können nicht übernommen werden.
Ankerwinde, Anker, Ankerkette usw.
Die
Ankerwinde ist korrodiert, muss auseinandergebaut und verzinkt bzw. geschmiert
werden. Die Verankerung und Konstruktion der Ankerwinde muss seitlich verstärkt
werden. Der Hauptanker kann übernommen werden. Die Ankerkette muss inspiziert
und gegebenenfalls neu verzinkt, dann markiert werden. Ankerklüsen fehlen.
Blechschutzbeschlag gegen Beschädigung der Bordwand durch den Anker fehlt.
Zweiter Reserveanker fehlt. Der vorhandene Patentanker kann nur als Heckanker
eingesetzt werden. Der Ankerkasten muss Lüftungsöffnungen, eine Kontrollöffnung
und Wasserabfluss haben, die nicht vorhanden sind.
Maschine und Maschinenraum
Der Henschel
6 Zylinder Motor, Baujahr 1960 läuft, was ein Probelauf bewiesen hat. Ob das
Reintjes-Getriebe funktionsfähig ist, konnte nicht festgestellt werden.
Äußerlich sind Motorenteile stellenweise stark korrodiert. Das Bilgewasser wird
durch Auslass auf Steuerbord abgepumpt und die Auspuffgase entweichen durch Auslass
auf Backbord. Es ist unklar, ob Ersatzteile für die Maschine noch vorhanden sind.
Tanks sind stark korrodiert und müssen ausgetauscht werden.
Schraube
Mit
ziemlicher Sicherheit muss die alte Schraube durch eine neue etwas kleinere aus
Bronze ersetzt werden. Neue Zinkanoden müssen dann in ihrer Nähe angebracht
werden.
Kielballast
Kielballast/Innenballast
aus Beton ist vorhanden muss aber entfernt und durch einen neuen ersetzt werden.
Zu diesem Zweck muss das Schiff aufgeslipt werden. Der Rumpf muss neu vermessen
werden, weil aller Voraussicht nach jegliche Baupläne/Riss etc. fehlen.
Deckhaus, Decksaufbau
Das
Ruderhaus ist 40 cm auf beiden Seiten zu schmal und muss vergrößert werden.
Dies gilt auch für Decksaufbau. Neue stabile Decksluken müssen eingebaut
werden. Die Verglasung des Deckhauses entspricht nicht den Vorschriften und
muss verstärkt werden. Deckhaus muss mit Decksbalken dauerhaft und
kraftschlüssig verbunden werden. In der Decke des Ruderhauses und in seinem
Fußboden fehlen Einstiegsluken für den Fall, dass die Maschine
ausgetauscht werden sollte.
Elektroinstallation
Akkus werden
über Landanschluss und Batterieladegerät geladen. Ihre korrodierte Halterung
muss ausgetauscht werden. Die Verkabelung des Großmastes ist unfachmännisch und
muss ersetzt werden. Wohnräume des Schiffes müssen neu verkabelt werden, auch
die Navigationsbeleuchtung.
Innenausbau
Sämtlicher
Innenausbau muss entfernt werden. Die Raumaufteilung des Schiffes muss neu
definiert werden. Der Durchgang zum Vorschiff hat keine Stehhöhe – diese muss gewährleistet werden. Eine wasserdichte
Schott im Vorschiff ist Pflicht. Kojen und Schränke müssen neu aus Mahagoni
passgenau und schiffig angefertigt werden.
Navigationsausrüstung
Der
vorhandene Kompass ist zu klein. GPS kann vermutlich übernommen werden. Echolot
wahrscheinlich auch. UKW voraussichtlich nicht wegen des neu eingeführten
Digitalfunks, weshalb für alte Geräte keine Zulassungsmöglichkeit mehr besteht.
Außenruderstand fehlt wie o.g. und muss eingebaut werden.
Rettungsmittel
Außenborder
kann vermutlich übernommen werden. Das Beiboot fehlt. Das vorhandene
Schlauchboot ist nicht stabil genug. Rettungsinsel fehlt.
Wertschätzung: Ausgehend von diesen Daten und von dem bevorstehenden immensen
Kosten- und Arbeitsaufwand, um das Schiff wieder seetüchtig und bewohnbar
machen zu können (Kostenpunkt ca. 50 000 Euro bei viel Eigenleistung) beziffere ich den derzeitigen Wert des Rumpfes und
des Zubehörs auf 15 000 Euro. Der Eigner sollte bedenken, dass der gegenwärtige Zustand des Schiffes ein schnelles Handeln
erfordert, um den Verfall und Wertverlust des Schiffes zu stoppen. Dringt das Wasser ins
Schiffsinnere herein und sinkt das Schiff, wird es zum Wrack und sein Wert dann nicht einmal
dem Bruchteil der Bergungskosten entsprechen.
Jerzy Chojnowski
(Skipper, Segellehrer, Jacht-Consultant)
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